Agnieszka Pisarska
Welche Adjektiven können graduiert werden...
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3. SYNTAKTISCHE KRITERIEN DER KLASSIFIZIERUNG

In diesem Kapitel werde ich mich mit syntaktischen bzw. morphosyntaktischen Kriterien der Klassifizierung in die graduierbaren und nicht graduierbaren Adjektive bei verschiedenen Autoren befassen. Drei Autoren der von mir herangezogenen Materialien (G. Helbig, J. Buscha und P. Eisenberg ) verwenden den Begriff von morphosyntaktischen Kriterien, die anderen zwei beschränken sich dabei nur auf das syntaktisches Kriterium. Laut G. Helbig, J. Buscha verfügen Adjektive neben den semantischen Eigenschaften auch über eine Reihe von morphosyntaktischen Merkmalen:

a) sie können attributiv und/ oder prädikativ gebraucht werden;
b) sie werden im Attributen Gebrauch zumeist dekliniert;
c) viele Adjektive sind graduierbar;
d) Adjektive können als sekundäre Valenzträger auftreten.

"Je nachdem, ob ein Adjektiv sämtliche oder nur einen Teil dieser Merkmale besitzt, ergibt sich seine Zuordnung zu einer speziellen morphosyntaktischen Gruppe. In unserer Klassifizierung (...) ist das syntaktische Merkmal a) als Spitzenmerkmal gewählt, während die morphologischen Merkmale b) und c) als Untermerkmale in Kombination angewendet werden. Das morphosyntaktische Merkmal d) findet- wie die lexikalisch- semantischen Merkmale von 3.- nur insoweit Berücksichtigung, als sich damit klar abgrenzbare Gruppen gewinnen lassen." P. Eisenberg vertritt dabei eine ähnliche Stellung. Solche Klassifikationen können nach unterschiedlichen Kriterien vorgenommen werden, etwa nach dem syntaktischen Verhalten der Adjektive, ihrem Valenzverhalten, ihrer morphologischen Struktur oder nach explizit semantischen Gesichtspunkten. Wir beschränken uns auf die Kennzeichnung markanter Klassen und geben jeweils Hinweise auf ihre struktuellen ( morphosyntaktischen ) Eigenschaften, soweit diese direkt auf die Semantik beziehbar sind."

 

3.1 DIE GRADUIERBAREN UND NICHT GRADUIERBAREN ADJEKTIVE BEI VERSCHIEDENEN AUTOREN

Laut G. Helbig, J. Buscha können die Adjektive entweder attributiv oder prädikativ gebraucht werden. Hier werden aber auch solche Adjektive unterschieden, die sowohl prädikativ, als auch attributiv gebraucht werden können, und die, die nur attributiv oder nur prädikativ gebraucht werden können. Die Gruppe der Adjektive, die sowohl attributiv, als auch prädikativ gebraucht werden kann, kann entweder graduiert oder nicht graduiert werden. Die Graduierungsmöglichkeit hängt von vielen Faktoren ab. Bei diesen Adjektiven, die sich mit dem Dativobjekt (z.B. Die Mutter ist der Großmutter ähnlich, oder Einige Meinungen sind den Brüdern gemeinsam.); mit dem Genitivobjekt ( z.B. Die Schülerin ist der guten Ergebnissen fähig, oder Der Mann war sich des Fehlers bewußt ); oder mit Präpositionalobjekt (z.B. Die Mutter ist für ihre Kinder verantwortlich, oder Ich bin mit deiner Entscheidung einverstanden) verbinden, ist es nicht möglich nur nach syntaktischen Merkmalen zu bestimmen, ob ein Adjektiv graduierbar oder nicht graduierbar ist. Die obigen Beispiele zeigen, daß alle diese Adjektive entweder komparierbar (ähnlich, fähig, verantwortlich ) oder nicht komparierbar (gemeinsam, bewußt, einverstanden ) sind. Die Graduierungsmöglichkeit besteht eher in der Bedeutung der einzelnen Adjektive. G. Helbig, J. Buscha erklären, daß nur diese Adjektive mit adverbalem Akkusativ (Maßangabe) (z.B. Die Brücke ist zwei Meter breit ) oder bei denen entweder Lokalangabe ( Mein Vater ist aus Polen gebürtig ) oder Modalangabe ( Der Arzt war gestern wunderbar gelaunt ) notwendig ist, nie graduiert werden. Ähnlich ist es mit allen Adjektiven im prädikativen Gebrauch, also diesen, die nie attributiv gebraucht werden können (z.B. Es ist mir ganz egal, wo du bleibst ,oder Nach der Arbeit bin ich immer fix und fertig). Sie können nie kompariert werden.

Beim attributiven Gebrauch des Adjektivs können wir folgende Adjektivgruppen aufzählen: Lokaladjektive, die im beschränkten Maße graduierbar sind, sie bilden zwar einen Superlativ, aber keinen Komparativ. Im superlativen Gebrauch entsprechen ihnen besondere Adverbformen, die auch attributiv nachgestellt werden können z.B. die untere Etage, die unterste Etage – Adjektiv, die Etage ist unten, die Etage unten - Adverb. Die zweite Gruppe bilden Adjektive bei Nomina agentis. Die in Verbindungen stehenden Adjektive, wie starker Trinker sind hier zuzurechnen, wobei die Transformation zeigt, daß sie nicht prädikativ möglich sind und ihnen die adverbiale Form entspricht. Der starke Trinker nicht = der Trinker ist stark = er trinkt stark (viel). Herkunfts-, Bezugs-, Stoff- , Temporal- , und Lokaladjektive sind nicht graduierbar. Sie können nämlich nicht prädikativ gebraucht werden. Die von Ortsnamen abgeleiteten Herkunftsbezeichnungen und Kardinalia auf -er gehören zur wenig umfangreichen Gruppe und werden nicht graduiert.

In der Duden- Grammatik werden andere Kriterien der Klassifizierung in Betracht gezogen. Die erste Gruppe bilden nur attributiv gebrauchte Adjektive, die sich auf die räumliche oder zeitliche Lage beziehen, z.B. die heutige Konferenz, abendliches Treffen. Viele von diesen Adjektiven können als Attribut gebraucht und nicht graduiert werden. Die sich auf Besitz, Herkunft, Bereich, Gebiet oder Stoff beziehenden Adjektive werden nur attributiv gebraucht, z.B. der brüderliche Wagen, ein ungarischer Wein. In anderer Bedeutung können jedoch viele von ihnen auch prädikativ oder adverbial gebraucht werden, wie z.B. Sie ist sehr mütterlich oder Das Kind wurde pediatrisch behandelt. Die dritte Gruppe bilden Adjektive im Hinblick auf die Quantität, auf eine bestimmte Zahl, auf die Rangordnung oder Reihenfolge u.a. , z.B. das ganze Volk, eine fünfundsiebziger Birne. Schließlich gibt es noch eine nicht graduierbare Gruppe von Partizipien, die in Verbindung mit bestimmten Substantiven nur attributiv gebraucht werden, z.B. die stehende Mutter. "Partizipien mit denen entweder die Ursache genannt wird, die zu der im Substantiv genannten Verhaltensweise führt, oder aber ein Verhalten angegeben wird, das mit dem im Substantiv Genannten verbunden ist, z.B. in betrunkenem Zustand (= Zustand des Betrunkensein, nicht: der ist betrunken).” Ausschließlich oder vorwiegend prädikativ werden unflektierte Adjektive gebraucht. Es handelt sich teils um Fremdwörter, teils um umgangssprachliche Wörter, teils um feststehende Wortpaare, teils um Adjektive, die nur noch in der unten erwähnten Verbindung vorkommen, z.B. es ist mir piepegal (ugs). Die umgangssprachlichen Adjektive werden häufig auch attributiv gebraucht, z.B. das kaputte Auto.

Attributiv und Prädikativ- nicht adverbial gebrauchte Adjektive beziehen sich nur auf Personen, Dinge usw., nicht aber auf ein Geschehen oder Sein. Mit Adjektiven dieser Art werden etwa die Wetterlage- (Es war ein nebliger Tag- windig, stürmisch, zugig ), Adjektive im Hinblick auf ihre Form, Beschaffenheit, auf bestimmte stoffliche Eigenschaften, auf Farbe ( Da lag ein viereckiger Klotz- zylindrisch, quadratisch ), Adjektive im Hinblick auf die Gestalt (den Bau), jemand im Hinblick auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand, auf bestimmte geistige, körperliche Eigenschaften, z.B.( Es ist ein breiter Tisch. Der Tisch ist breit - schmal, untersetzt) charakterisiert. Bei attributiv und adverbial- nicht prädikativ gebrauchten Adjektiven sind die Steigerungsformen im üblichen Sinne nicht üblich. Zu dieser Gruppe gehören Adjektive, mit denen ausgedrückt wird, daß sich etwas im bestimmten, zeitlichen Abstand wiederholt z.B. diese Konferenz ist jährlich, sein tägliches Interview . Als die nicht graduierbaren Adjektive werden auch solche Adjektive genannt, die nicht prädikativ gebraucht werden können, wie z.B. ungefähr, gänzlich, völlig, unverzüglich.

Ähnlich eingeschränkt im Gebrauch sind bestimmte Adjektive in bestimmten Verbindungen. Bei attributiver Verwendung charakterisiert das Adjektiv, das mit dem Bezugssubstantiv genannte Verhalten, die Tätigkeit- diese Adjektive sind aber im Unterschied zur letzten Gruppe graduierbar. In der Duden- Grammatik werden auch Adjektive genannt, die ich hier erwähnen möchte, bei denen Vergleichsformen nicht üblich sind. Es sind z.B. Adjektive, mit denen bestimmte Verfahren oder Zustände ausgedrückt werden, die einen Vergleich vom verschiedenen Grade ausschließen, wie z.B. schriftlich, tot und Adjektive, mit denen das im Stammwort Genannte ausgedrückt wird, wie z.B. unverlierbar, unnötig und Adjektive, mit denen das Fehlen des im Stammwort Genannten ausgedrückt wird, wie z.B. bewußtlos, hoffnungslos.

Von Adjektiven, die nur attributiv oder nur Prädikativ gebraucht werden, sind Vergleichsformen im allgemeinen unüblich. Von den Partizipien, die wie Adjektive gebraucht werden, werden vor allem dann Vergleichsformen gebildet, wenn sie innerhalb der Wortart vom Verb isoliert sind (z.B. die sprechende Lehrerin, die aufgeregte Schülerin ). Laut P. Eisenberg geht es bei der Syntax in erster Linie um Stellungsverhalten. "Viele der genannten Adjektive können nicht prädikativ stehen. Aber auch als Attribute zeigen sie meist ein markiertes Verhalten, wenn es um die Kombination mit anderen Adjektiven geht. Normalerweise können mehrere Adjektive in beliebiger Reihenfolge bei einem Substantiv stehen- der alte, vertrockene Baum - der vertrockene, alte Baum, wobei solche Konstruktionen mit und zu lesen sind- der alte und vertrockene Baum.” Die absoluten Adjektive, wie blau, hellblau, seidenmatt, rund, gerade, eckig sind attributiv und prädikativ verwendbar. Solche Adjektive wie getauft, entdeckt sind in ihrer Grundbedeutung nur eingeschränkt graduierbar oder komparierbar. Etwas kann entweder entdeckt oder nicht entdeckt sein. Die relativen Adjektive verbinden sich mit Maßangaben in jeweiligen Dimensionen. Es gehört zu ihrer Syntax ( z.B. der Turm ist hoch, das Rathaus ist höher, der Domturm ist am höchsten). Bei denominalen Adjektiven können die meisten der Basisadverbien in Kopulasätzen und in Sätzen mit bestimmten kopulaähnlichen Verben prädikativ stehen ( die Sitzung ist heute, die Sitzung findet heute statt; Karl ist hier, Karl befindet sich hier). Das Adverb nähert sich als Adjektiv auf zwei Wesen an: einmal als Eindringen in Adjektivkontexte (prädikativ) und einmal durch Ableitung eines deklinierbaren Adjektivs auf - ig (attributiv). Zu den deadverbalen Adjektiven gehören Adjektive, die nur attributiv gebraucht werden können. Die Graduierungsmöglichkeit ist in diesem Fall in der Regel unüblich (z.B. angeblich, vermutlich, hoffentlich). U. Engel benutzt schon andere Verwendungsklassen der Adjektive.

Wie ich es schon in der Einleitung erwähnt habe, kann das Adjektiv entweder als Attribut oder Apposition zum Nomen; Adjektivalergänzung zum Verb; als situative, existimatorische oder modifikative Angabe; oder als Adjunkt gebraucht werden. Nur die attributive Verwendung ist bei jedem Adjektiv möglich, in der anderen nicht- attributiven Verwendung bleibt das Adjektiv unflektiert. Gemäß der Verwendbarkeit lassen sich also die folgenden Teilklassen von Adjektiven unterscheiden: Die erste Gruppe bilden Adjektive, die nur als Attribut auftreten, die Gruppe kann aber nicht graduiert werden (z.B. eine berufliche Tätigkeit). Zu einem Teil der Herkunftsadjektive gibt es bei dieser Verwendung gleichlautende qualifikative Adjektive, die teilweise kompariert werden können, z.B. diese tschechischen Knödeln (mit Herkunftsadjektiv). Diese Knödel sind typisch tschechisch (mit qualifikativem Adjektiv). Typisch läßt sich komparieren. Zu der Gruppe der nicht graduierbaren Adjektive gehören auch die nur als Attribut und als Satzangabe verwendbaren Adjektive z.B.: Eine tägliche Tätigkeit- Attribut; Trinken Sie täglich Milch! - Satzangabe. Hierher gehören auch viele qualifikative Adjektive, die nicht nur ein Geschehen, sondern auch eine Größe bestimmen und teilweise kompariert werden können, z.B. ein starker Raucher (Attribut); Er raucht stark (Satzangabe). "Qualifikative Adjektive wie stark im letzten Beispielpaar sind zwar prinzipiell auch als Adjekivalergänzung (...) einsetzbar, aber dies gilt nicht in den hierher gehörenden Fällen, wo ein Geschehen modifiziert wird. Deshalb gibt es zu ein starker Raucher auch keine Satzentsprechung- Der Raucher ist stark, und ebenso gibt es zum permanenten Lügner zwar die Entsprechung - Er lügt permanent, aber keine Satzentsprechung Der Lügner ist permanent”. Ähnlich benehmen sich auch die Adjektive, die nur als Attribut, Apposition, Adjunkt oder Adjektialergänzung verwendet werden können z.B.

Meine in Leipzig tätige Frau - Attribut Meine Frau, in Leipzig tätig... - Apposition Ich habe sie in Leipzig tätig gesehen - Adjunkt Meine Frau war in Leipzig tätig - Adjektivalergänzung

Sie können auch nicht kompariert werden. Nur als Attribut, Apposition, Adjektivalergänzung und Satzangabe verwendbare Adjektive gehören zur Gruppe der nicht graduierbaren Adjektive, solange in der Adjektivalergänzung keine qualifikativen, komparierbaren Adjektive auftreten, z.B. Der Differenzbetrag war erheblich, Ihre Trennung war sehr wahrscheinlich geworden. Zu der letzten Gruppe gehören Adjektive mit sämtlichen Verwendungsmöglichkeiten. Die meisten von ihnen sind qualifikativ z.B. Peter ist zuverlässig, Monika ist noch zuverlässiger (Adjektivalergänzung); eine zuverlässige Lehrerin (Attribut); Sie kontrolliert zuverlässiger als er (Adjunkt), und können kompariert werden, solange sie nicht in Form von Partizipien Perfekt auftreten. " Es wird auch versucht, die "Steigerbarkeit” als charakteristische Eigenschaft der Adjektive herauszustellen. Aber in Wirklichkeit ist nur ein kleiner Teil der Adjektive komparierbar : angeblich, fertig, tot und zahlreiche andere können nicht gesteigert werden, weitere wie falsch lassen sich höchstens in bestimmten Gebrauchsweisen steigern. So eignet sich die Steigerbarkeit/ Komparierbarkeit allenfalls zur Definition einer kleineren Subklasse der Adjektive”.


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Erstmals erstellt: 18. November 2000

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